Unter Segeln Richtung Süden

„Leinen los!“ „Leinen sind los!“ Deutlich, ruhig, klar schallen an diesem sonnigen Morgen die Kommandos über das Deck der Blue Cruise. In dem kleinen Hafen Vollen südlich der norwegischen Hauptstadt Oslo startet die neue, fünfköpfige Crew auf der 50-Fuß-Yacht in Richtung Süden. Zwei Wochen liegen vor Schiff und Crew: Durch den Oslofjord, das Skagerrak, den Limfjord auf der dänischen Halbinsel Jütland soll es nach Sylt, nach Helgoland und schließlich nach Wilhelmshaven gehen. Skipperin Johanna Rieder kennt das Revier, kennt ihr Schiff: „Und auf die neue Crew bin ich sehr gespannt, wir werden zusammen sehr viel auf See erleben.“

Skipperin Johanna Rieder. (Foto: Ludger Möllers)

Seit 2019 hat sie ihr Hobby zum Beruf gemacht und bietet auf der Blue Cruise Segelreisen an: „Vom Anfänger bis zum erfahrenen Segler sind alle willkommen!“ In diesem Jahr stehen Törns rund um Schottland, die Orkney-Inseln, Irland und England auf dem Programm: Dabei wird die Blue Cruise mit maximal sieben Gästen belegt, Platz bietet sie für 13 Personen. Die Unterbringung erfolgt in Doppelkabinen.

Zurück in den Oslofjord: Bei ruhigem Wetter und leichtem Wind läuft das Schiff unter Segeln in Richtung Süden. Ein Crewmitglied hat das Ruder übernommen, die anderen Segler haben sich in der Pflicht versammelt. Beim Kaffee ist Zeit genug, um sich auszutauschen. Skipperin Johanna wurde bei der Bundesmarine auf dem Segelschulschiff „Gorch Fock“ ausgebildet und startete in die Offizierlaufbahn. Von diesen Erfahrungen profitieren die heutigen Crews: „Seemännisch habe ich in 30 Jahren keine bessere Schiffsführung erlebt“, weiß ein erfahrener Mitsegler, „vor allem in puncto Sicherheit macht ihr niemand etwas vor.“ Auf die Zeit auf See folgten zehn Jahre im Kommando Marine-Führungssysteme. Die Skipperin führte auch ein eigenes Restaurant in Wilhelmshaven: Davon wird noch zu berichten sein. Am nächsten Tag, nach einer ruhigen Nacht vor Anker im Schutz einer kleinen Schäreninsel, hat das Wetter umgeschlagen. Im Skagerrak, der Meerenge zwischen Schweden und Dänemark, sind Crew und Schiff bei Windstärken um die 6 Beaufort und ruppiger See gefordert. Kein Problem für die Blue Cruise, ein gut 15 Meter langes Schiff vom Typ Cyclades 50.5, gebaut auf der bekannten Werft Bénéteau in Frankreich.

Und die Crew? „Segelurlaub ist kein Badeurlaub“, betont die Skipperin vor dem Kommando „Anker auf“ grundsätzlich. „Auch heute könnt und dürft ihr an Bord überall mitwirken: Navigation im Gezeitenrevier, Anwenden der Kollisionsverhütungsregeln und der Seeschiffahrtsstraßenordnung, Wetter beobachten, Logbuch führen, wenden, halsen, Ruderwache übernehmen, anlegen, ablegen, ankern, Funkgerät bedienen, Mann-über-Bord-Manöver üben.“ Die Crewmitglieder wechseln sich ab, je nach Können sorgen sie sich um die Navigation, also den richtigen Kurs, oder um die Segelführung. Alle müssen mit anpacken, wenn die Blue Cruise einen anderen Kurs einschlagen soll: Dann sind vereinte Kräfte an Schoten und Fallen gefragt.

Bei der Törnplanung hat die Skipperin auf Abwechslung geachtet: Daher steht nach zwei Seetagen im Skagerrak und im Kattegat die Fahrt auf dem Limfjord im Törnplan. Das Gewässer durchschneidet die dänische Halbinsel Jütland. Meilen unter Motor und unter Segel wechseln sich ab.Vorbei an der Stadt Aalborg zieht die Blue Cruise in Richtung Nordsee.

Abend für Abend lernt die Crew sich besser kennen: Denn zu einer Segelreise auf einer Yacht gehört auch, dass gemeinsam an Bord gekocht wird. Oder aber es geht in eine Hafenkneipe. Kleine Restaurants sind auf Segler eingestellt. „Und genau dies, diese Begegnungen, waren die Motivation für mich, mit 56 Jahren die Reißleine zu ziehen und mein Hobby zum Beruf zu machen“, sagt Johanna Rieder. „Ich will mit Menschen zusammenleben, mit ihnen etwas erleben, mit ihnen unterwegs sein, ihre Meinungen kennenlernen.“

Auf der Reise nach Wilhelmshaven läuft die Blue Cruise durch die Nordsee in Richtung Süden. Zeitweise begleiten Schweinswale das Schiff. Den seglerischen und auch emotionalen Höhepunkt bildet der Schlag von Hörnum auf Sylt nach Helgoland, der einzigen deutschen Hochseeinsel. Mit ablaufendem Wasser kurz nach der Flut will die Skipperin das Wattenmeer mit seinen engen Fahrwassern verlassen und auf die Nordsee segeln. Morgens um sechs Uhr heißt es daher: „Leinen los“. Windstärken bis sieben Beaufort sind angesagt und stellen sich auch ein. Bei strahlendem Sonnenschein, aber starkem Wind rauscht die Blue Cruise mit neun Knoten durchs Wasser. „Seeluft macht hungrig“, wirft ein Crewmitglied in die Runde. Mit seiner Skipperin, immerhin mit zehn Jahren Erfahrung als Gastronomin, aber hat er nicht gerechnet. Unter Deck, in der Kombüse, hat sie eine Überraschung vorbereitet. „Guten Appetit“, ruft sie den erstaunten Seglern zu, „zum Auftakt gibt es Schnittchen mit Lachs!“

Ebbe und Flut richten sich nicht nach dem Menschen, die Crew hat sich nach den Gezeiten zu richten. Und so ist nach einem Ruhetag auf Helgoland die Nacht um drei Uhr morgens zu Ende, um mit auflaufendem Wasser den Heimathafen Wilhelmshaven der Blue Cruise zu erreichen. Der rege Schiffsverkehr in der deutschen Bucht, einem der am dichtesten befahrenen Seereviere der Welt, fordert die Crew. Dann heißt es: „Klar zum Anlegen an Steuerbord“. Und die Antwort: „Ist klar!“

(erschienen in der Schwäbischen Zeitung, 17.Mai 2024)